12/06: Des Rätsels Lösung: Aus Gyrochorte wird Dreginozoum
Das Sammlungsobjekt des Monats
Quelle: BGR; Foto: Bernd Kleeberg
Bei manchen Fossilien ist es schwer, eine Zuordnung zu einer Fossilgruppe zu treffen. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Fossil Gyrochorte bisulcata GEINITZ 1883, das seit den achtziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts bekannt ist und über das viel spekuliert worden ist.
In den Berliner Sammlungen befindet sich das Original (Sammlungsnummer X12621) zu GEINITZ (1895). Es zeigt eine unregelmäßige, stark gebogene und in Längsrichtung zweigeteilte Form mit einem mittig oben gelegenen Längsstrang. An beiden Seiten des Längsstranges befinden sich konvexe, in etwa gleich große ovale Wülste. Das eine, sich kontinuierlich verjüngende Ende, ist spiral eingerollt und hier geht die zweireihige Form in eine einreihige Anordnung der Wülste über. Die Gesamtlänge (entrollt) beträgt 38 cm, der größte Wulst misst 2,6 cm mal 1,4 cm. Der Fundort ist eine Tongrube bei Pisede in der Nähe von Malchin in Mecklenburg. Das Alter der marin gebildeten Tone wird von REICH & KLAFACK (2002) mit Untereozän (etwa 50 Millionen Jahre vor heute) angegeben, der Ablagerungsbereich bis zu einer Wassertiefe von 200 m eingegrenzt.
GEINITZ selbst hat Gyrochorte bisulcata GEINITZ 1883 in die Gruppe der Algen gestellt. Aber schon in der Arbeit von 1887 äußert er Zweifel an dieser Zuordnung. In einem Artikel von 1895 beschreibt er sehr genau das in der BGR befindliche Fossil und diskutiert dessen taxonomische Stellung. Als mögliche Deutung werden Algen, Kriechspuren von nicht näher erläuterten Organismen, und Eigelege von Mollusken, insbesondere der Gastropoden (Schnecken), genannt. Aber auch fossile Annelida (Würmer) werden als mögliche Interpretation diskutiert, wobei der Mittelstrang als „derbe Rückengefäße“ beschrieben wird. Gegen die Kriechspur spricht die deutliche Verjüngung der Form bei Beibehaltung aller Merkmale. Auch die Algen werden von GEINITZ ausgeklammert. Er verweist insbesondere auf die Ähnlichkeit von Gyrochorte bisulcata mit Dreginozoum nereitiforme VON DER MARK 1894 aus der Oberkreide (dem Campanium) Westfalens, ein von VON DER MARK als fossiles Eigelege mariner Schnecken interpretiertes Fossil. Eine endgültige Zuordnung von Gyrochorte bisulcata zu einer Fossilgruppe wird von GEINITZ aber nicht vorgenommen.
In einer neueren Arbeit untersuchten REICH & KLAFACK (2002) dem Fossil Gyrochorte bisulcata sehr ähnliche Fundstücke aus dem Untereozän Mecklenburg-Vorpommerns, wobei das hier vorgestellte Fundstück den Autoren nicht vorlag. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die Fundstücke der schon seit 1894 bekannten und als Eikapseln gedeuteten Gattung Dreginozoum zuzuordnen sind und interpretieren die Gattung Dreginozoum als Laichkapseln innerhalb der großen Gruppe der prosobranchen Gastropoden ("Vorderkiemer").
Die Konsequenz für unser Sammlungsstück ist die Umbenennung von Gyrochorte bisulcata GEINITZ 1883 in Dreginozoum bisulcatum (GEINITZ, 1883) und damit wird aus einer Alge ein Eigelege mariner Schnecken.
Ein Blick auf heute lebende Gastropoden der Weltmeere zeigt zwei häufige Vermehrungsstrategien (RIEDEL 2000):
a) Aus dem befruchteten Ei schlüpft eine fei im Meerwasser schwimmende Larve, die sich von Plankton ernährt und erst nach einer Metamorphose zum Bodenleben übergeht.
b) Aus dem Ei schlüpft nach einem intrakapsulären Larvalstadium und einer Metamorphose in der Eikapsel eine juvenile Schnecke, die sofort die bodenbezogene Lebens- und Ernährungsweise aufnimmt. Die Eikapseln können hier bis zu 140 Milliliter Volumen groß werden, das entspricht in etwa einem Golfball, und enthalten große Mengen eiweißreiche Flüssigkeiten (Eiklar) zur Versorgung der Embryonen.
Die beachtenswerte Größe der ovalen Wülste (= Eikapseln) des in der Abbildung dargestellten Fossils könnte auf die im zweiten Fall dargestellte Vermehrungsstrategie hinweisen. Vielleicht gehörte ja auch Dreginozoum bisulcatum zu den Direktentwicklern unter den marinen Neogastropoda.
Literatur:
Geinitz, E. (1895): Ueber einige räthselhafte Fossilien. – Naturwissenschaftliche Wochenschrift, X, 18, 213-216, 2 Abb., Berlin.
Reich, M. & Klafack, R. (2002): Dreginozoum (Gastropoda, Laichkapseln) aus dem Unter-Eozän Mecklenburgs und Pommerns. – Geschiebekunde aktuell, 18, 2, 56-60, 1 Abb.,1 Taf., Hamburg.
Riedel, F. (2000): Ursprung und Evolution „höherer“ Caenogastropoda. – Berliner Geowissenschaftliche Abhandlungen, E32, 240 S., 21 Taf., Berlin.
Übrigens: Die BGR unterhält Sammlungen in Berlin und Hannover, hier in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG). Sie gehören zu den großen geowissenschaftlichen Sammlungen in Deutschland.
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